31.03.2014

Öffentlicher Dienst: Kündigung wegen außerdienstlicher Straftat

Für nicht hoheitlich tätige Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gelten nach § 41 Satz 1 TVöD-BT-V keine weiter gehenden vertraglichen Nebenpflichten als für die Beschäftigten der Privatwirtschaft. Die früher in § 8 Abs.nbsp1 Satz 1 BAT und § 8 Abs.nbsp8 MTArb vorgesehenen besonderen Anforderungen an das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer sind von den Tarifvertragsparteien aufgehoben worden.
Bei außerdienstlichen Straftaten durch Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die im nicht hoheitlichen Bereich tätig sind, gelten keine anderen Nebenpflichten als für die Arbeitnehmer der Privatwirtschaft.

A.nbsp Problemstellung

Begeht ein im öffentlichen Dienst tätiger Arbeitnehmer eine außerdienstliche Straftat, stellt sich die Frage, ob er damit gegen die (Neben-)Pflichten seines Arbeitsvertrags verstößt, so dass eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt ist.

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat in der Vergangenheit eine strenge Linie verfolgt und jedenfalls bei Straftaten „von einigem Gewicht" eine zur Kündigung berechtigende Verletzung vertraglicher Nebenpflichten für alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gesehen. Ob diese Linie aufrechterhalten werden kann, ist vor allem vor dem Hintergrund der 2005 in Kraft getretenen Tarifänderungen im öffentlichen Dienst mehr als zweifelhaft.

B.nbsp Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die dem Kläger wegen außerdienstlichen Straftaten ausgesprochen wurde. Der Kläger ist seit 2002 bei der beklagten Stadt als gewerblicher Arbeitnehmer im „Grünen Team" des Bauhofs beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) Anwendung, der am 01.10.2005 durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) abgelöst wurde. Vom 20.11. bis zum 22.12.2005 wurde der Kläger wegen des Vorwurfs mehrfacher Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft genommen. Mit Schreiben vom 24.03.2006 kündigte die Beklagte - nach Zustimmung des Personalrats - das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2006. Am 08.05.2006 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er als Freigänger verbüßt. Mit Schreiben vom 31.08.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach erneuter Beteiligung des Personalrats fristlos; durch sein Verhalten habe der Kläger als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in erheblicher Weise gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen. Der Kläger beruft sich darauf, dass er als Freigänger seiner Tätigkeit weiterhin nachkommen könne.
Der gegen beide Kündigungen erhobenen Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht hinsichtlich der fristgemäßen Kündigung (24.03.2006) durch Teilurteil abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Das Gericht prüft zunächst eine Verletzung der durch Tarifvertrag auferlegten Nebenpflichten und verweist auf die Neuregelung der dem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes auferlegten Nebenpflichten, die sich in § 41 Satz 1 TVöD auf die gewissenhafte und ordnungsgemäße Ausführung der „im Rahmen des Arbeitsvertrags geschuldete Leistung" beschränkt. Die Vorschrift setzt sich damit von den Vorgängerregelungen des § 8 Abs.nbsp1 Satz 1 BAT und des § 8 Abs.nbsp8 Satz 1 MTArb ab, wonach sich die Angehörigen des öffentlichen Dienstes so zu verhalten hatten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet werden konnte. Darin sieht der Senat eine Abkehr von der bisherigen Orientierung an das Beamtenrecht, so dass keine weitergehenden Verhaltenspflichten als in der Privatwirtschaft zur Anwendung kommen.

Auch eine Verletzung der aus § 241 Abs.2 BGB resultierenden Nebenpflichten wird verneint. Zwar sei der Arbeitnehmer auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Bei einer außerdienstlich begangenen Straftat liege ein Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme jedoch erst dann vor, wenn der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begangen habe. Der Vorwurf gegen den Kläger beschränke sich aber darauf, dass dieser wegen des mehrfachen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft gesessen habe.

Schließlich zieht der Senat einen personenbedingten Kündigungsgrund im Hinblick auf den daraus abzuleitenden Eignungsmangel in Erwägung. Er betont insoweit, dass Straftaten eines im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmers, der mit hoheitlichen Aufgaben betraut ist, grundsätzlich auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehle. Als gewerblicher Arbeitnehmer, der vornehmlich auf den Grünanlagen der Beklagten zu Einsatz kommt, könne im Falle des Klägers ein solches Eignungsdefizit aber ausgeschlossen werden.

C.nbsp Kontext der Entscheidung

Ob und inwieweit außerdienstliche Straftaten als Kündigungsgrund im öffentlichen Dienst herangezogen werden können, beschäftigt die Rechtsprechung seit geraumer Zeit. Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, seine private Lebensführung frei von Vorgaben des Arbeitgebers zu gestalten, dürfen Straftaten im außerdienstlichen Bereich - wie außerdienstliches Verhalten im Allgemeinen - grundsätzlich nicht für eine Kündigung herangezogen werden. Für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes postulierte das BAG allerdings bis in die jüngste Vergangenheit hinein einen strikten, an beamtenrechtlichen Maßstäben orientierten Verhaltenskodex. Außerdienstlich begangene Straftaten dieser Personengruppe seien jedenfalls dann zur Kündigungsrechtfertigung geeignet, wenn sie ein gewisses Gewicht hätten (BAG v. 08.06.2000 - 2 AZR 638/99 - BAGE 95, 78: Verurteilung wegen Totschlags; BAG v. 21.06.2001 - 2 AZR 325/00 - EzA § 626 nF BGB Nr.nbsp189: vorsätzliche Steuerverkürzung durch Mitarbeiterin eines Finanzamtes). Mit der vorliegenden Entscheidung rückt das Gericht für die nicht hoheitlich tätigen Arbeitnehmer von dieser Linie ab. Für die im hoheitlichen Bereich tätigen Arbeitnehmer will es - wie Leitsatz und Urteilsgründe erkennen lassen - die hergebrachten Grundsätze beibehalten. Damit wird erkennbar, wie schwer es dem Gericht fällt, einem modernen Vertragsrecht im gesamten öffentlichen Dienst zur Anwendung zu verhelfen.

In seiner bisherigen Rechtsprechung stützte sich das BAG auf Tarifnormen, in denen die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes den Angestellten und Arbeitern - mit der geradezu nebulösen Formulierung, dass sich die Arbeitnehmer so zu verhalten hätten, wie es von „Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird" - beamtengleiche Verhaltensregeln außerhalb ihrer Arbeitstätigkeit auferlegt hatten. Die Gewerkschaften hatten sich darin - offensichtlich in dem Bemühen, den Status der Arbeitnehmer auf die gleiche Ebene wie den der Beamten zu heben - zu einer umfassenden, selbst die private Lebensgestaltung einschließenden Inpflichtnahme der Arbeitnehmer bereit erklärt. Die Rechtsprechung verstand diese Regelung als eine Erweiterung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, deren Verletzung Sanktionen im Arbeitsverhältnis nach sich ziehen konnte. Dabei war diese Schlussfolgerung keineswegs selbstverständlich. Es hätte vielmehr Anlass bestanden, der Frage nachzugehen, ob die Tarifvertragsparteien zu einer derartigen, die private Lebensführung tangierenden Regelung überhaupt berechtigt waren. Denn es war und ist allgemein anerkannt, dass für die auf die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Art. 9 Abs.nbsp3 GG) beschränkten Tarifparteien das Privatleben der Arbeitnehmer tabu ist. Damit verbietet sich auch der Erlass eines Pflichtenspektrums, das die über den Leistungsaustausch hinausreichende Lebensführung des Arbeitnehmers zum Gegenstand macht.

Mit der Einführung des TVöD ist diese Frage obsolet geworden. Nunmehr haben die Gewerkschaften ihren Standesdünkel abgeschüttelt und die Tarifvertragsparteien das Pflichtengefüge der Arbeitnehmer strikt auf den Leistungsaustausch beschränkt. Selbst wenn man die Zulässigkeit der Nebenpflichtenerweiterung unterstellt, unterscheiden sich jedenfalls ab Inkrafttreten des TVöD die Nebenpflichten nicht mehr von denen der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Diese Neuerung muss allerdings für alle vom TVöD erfassten Arbeitsverhältnisse gelten. Die Relativierung, die der Senat im Leitsatz seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, wonach nunmehr (nur) für die nicht hoheitlich handelnden Arbeitnehmer keine weitergehenden vertraglichen Nebenpflichten zur Anwendung kommen sollen, findet im Tarifvertrag keine Grundlage und ist deshalb nicht nachvollziehbar.

Bedenklich ist des Weiteren, dass für die mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hinsichtlich der personenbedingten Kündigungsgründe noch immer andere, nämlich schärfere Maßstäben gelten sollen. Dass Straftaten einen personenbedingten Kündigungsgrund abgeben können, wenn sie die Eignung des Arbeitnehmers für die vertraglich vereinbarte Tätigkeit entfallen lassen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG und verdient im Grundsatz Unterstützung. So dürfte etwa die Eignung eines Erziehers, der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, die weitere Eignung für eine erzieherische Tätigkeit im Kinder- und Jugendbereich schlechthin ausschließen. Es ist jedoch nicht erkennbar, wieso hier noch eine Differenzierung zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft geboten ist. Das Postulat des Senats, dass außerdienstliche Straftaten eines mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers grundsätzlich einen Eignungsmangel induzieren, geht jedenfalls zu weit. So stellt die Sexualstraftat eines Arbeitnehmers, der mit hoheitlichen Aufgaben im Finanzbereich betraut ist, dessen Eignung für die weitere Aufgabenerfüllung kaum in Frage. Und die Gefahr eines Ansehensverlustes des öffentlichen Arbeitgebers, mit der in der älteren Rechtsprechung ein strengeres außerdienstliches Pflichtenkorsett begründet wird, kann schwerlich einen Eignungsmangel bewirken.

D.nbsp Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung setzt damit dem Sanktionsregime des öffentlichen Arbeitgebers bei Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Privatbereich enge Grenzen, indem sie den außerdienstlichen Pflichtenkatalog auf die Nebenpflichten eines auf den Leistungsaustausch zugeschnittenen Vertragsverhältnisses reduziert. Allerdings beschränkt sie diese „Normalisierung" auf die im nichthoheitlichen Bereich tätigen Arbeitnehmer. Für die mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Beschäftigten ist hingegen zu erwarten, dass die Rechtsprechung an den überkommenen strengen Grundsätzen eines besonderen Pflichtenverhältnisses festhalten wird.